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„Die OZ vermittelt mir als Leser das Gefühl, dass hier ein

Interesse an ehrlicher redaktioneller Arbeit besteht.

Jeden Morgen bekomme ich eine kluge Auswahl gut

recherchierter Neuigkeiten.“

Bodo Janssen, Emden

Freitag, 9. Oktober 2020, Seite 50

rof. Klaus Meier von

der Katholischen Uni-

versität in Eichstätt

(Bayern) ist einer der

profiliertesten Journalismus-

Forscher in Deutschland. Im-

mer wieder meldet er sich öf-

fentlich zu Wort, so im April,

als er wegen „Einseitigkeit“

und „Panikmache“ in der Co-

rona-Berichterstattung

das

öffentlich-rechtliche Fernse-

hen und überregionale Zei-

tungen kritisierte. In Ostfries-

land war der 1968 geborene

Ex-Lokalredakteur noch nie,

wie er bekannte, als ihn OZ-

Chefredakteur

Joachim

Braun zum Interview anläss-

lich des 70. Geburtstags un-

serer Zeitung anrief.

OZ:

Welche Chancen sehen

Sie für ein kleines unabhängi-

ges Medienhaus wie die Zei-

tungsgruppe Ostfriesland den

digitalen Wandel erfolgreich

zu bewältigen?

KLAUS MEIER:

Das kommt

darauf an, wie wir Erfolg defi-

nieren. Ich würde mal in zwei

Richtungen gehen. Wenn

man von journalistischem

Erfolg spricht, dann heißt

das, dass man den Menschen

auch im digitalen Raum Hei-

mat gibt, mit verlässlichen

Informationen aus dem Nah-

bereich, ihnen relevante In-

formationen bietet, die Ori-

entierung bieten im tägli-

chen Leben, in der heutigen

Informationsflut. Da sehe ich

große Chancen gerade für

kleine Verlage, die ihre Wur-

zeln in der Region haben und

dort bekannt und geschätzt

sind. Die andere Seite ist die

ökonomische, das Finanzie-

rungsmodell der Tageszei-

tung, und da ist es in der ge-

samten

westlichen

Welt

schwierig geworden, gerade

für kleinere Verlage. Die An-

zeigeneinnahmen sind schon

lange rückläufig und jetzt in

diesem Corona-Jahr noch

viel stärker. Die Chance sehe

ich darin, dass man die Men-

schen überzeugt, auch im di-

gitalen Zeitalter für die jour-

nalistische Leistung zu be-

zahlen.

Nur bis 2033 gibt es

gedruckte Zeitungen

OZ:

Sie haben vor einiger Zeit

angekündigt, dass es 2033, al-

so in 13 Jahren, in Deutsch-

land keine gedruckten Tages-

zeitungen mehr geben wird.

Mein Verleger Robert Dunk-

mann ist überzeugt, dass er

noch sehr lange Zeitungen

drucken wird, natürlich in ge-

ringerer Auflage. Ich bin ver-

wirrt, wer hat nun Recht?

MEIER:

(lacht) 2033 beruht

auf einer einfachen Rech-

nung. Ich habe die Auflagen-

zahlen aus ganz Deutschland

über die letzten 25 Jahre ge-

nommen und in die Zukunft

verlängert. In Wahrheit wird

es von Region zu Region sehr

unterschiedlich

sein.

In

Großstädten zum Beispiel ist

die Situation für Lokalzeitun-

gen viel schwieriger als in

ländlichen Regionen. Auch

im Osten Deutschlands ist es

aus verschiedenen Gründen

schwieriger. Aber es gibt

auch Regionen, in denen es

den Zeitungen nach wie vor

ganz gut geht. Es kommt

auch darauf an, wie dünn

oder dicht besiedelt eine Re-

gion ist, das macht einen be-

P

deutenden Unterschied bei

den Zustellkosten. Und die

werden zu einem entschei-

denden Faktor in den nächs-

ten Jahren. Es gibt dazu eine

Studie, wonach sich in 40

Prozent aller deutschen Ge-

meinden in fünf Jahren die

Zustellung der Zeitung nicht

mehr lohnen wird. So teuer

kann ein Abo gar nicht sein,

dass sich das noch rechnet.

OZ:

Sie haben Recht, das ist

auch für unseren Verlag jetzt

schon ein Riesenthema. Die

Wege zu unseren Abonnenten

sind weit in Ostfriesland ...

MEIER:

Da sind Sie tatsäch-

lich nicht alleine. Es gibt ja

Überlegungen, was man da

macht. Am sinnvollsten ist es

vermutlich, mit den Men-

schen zu reden, in der Hoff-

nung, dass die es verstehen.

Und vielleicht lassen sie sich

dann auf ein iPad ein, das

man ihnen günstig überlässt,

und dann bekommen sie ein

digitales Abo. In meiner eige-

nen Verwandtschaft kenne

ich viele ältere Menschen, die

sich an ein iPad sehr gut ge-

wöhnt haben. Aber es ist ein

Umgewöhnungsprozess. Und

ich gebe zu, ich mag auch

das Papier am Morgen zum

Kaffee.

OZ:

Wir haben in Deutsch-

land eine einzigartige Vielfalt

an Zeitungen. Und in Ost-

friesland ist die Situation

noch außergewöhnlicher, weil

es fast überall eine Lokalzei-

tung gibt und die Ostfriesen-

Zeitung. Wird diese Vielfalt

kaputtgehen?

MEIER:

Kaputtgehen ist dras-

tisch formuliert. Aber ich bin

sehr skeptisch, dass sich das

noch lange halten kann. Man

braucht ja nur zu rechnen:

Wenn in einem Ort 1000 Le-

ser sind, jeweils 500 bei der

einen und 500 bei der ande-

ren Zeitung. Wenn es nur ei-

ne Zeitung gäbe, dann wären

es 1000 Leser. Das wäre von

den Kosten her viel sinnvol-

ler. Wir haben über Jahrzehn-

te gelobt, dass es super ist,

wenn es mehr als eine Lokal-

zeitung pro Stadt gibt: Der

Leser hat die Auswahl, die

Redaktionen

konkurrieren

um die besten Recherchen,

die besten Kommentare, und

das hilft dem Lokaljournalis-

mus. Aber vielleicht ist es gar

nicht so dramatisch, wenn es

nur eine Redaktion pro Regi-

on gibt. Es kommt dann auf

deren Selbstverständnis an.

Vielfalt muss dann eben in

der einen Redaktion gelebt

werden. Alle Meinungen ins

Blatt oder ins digitale Pro-

dukt. Alle Positionen, alle

Fragen.

Kleineren Verlagen

helfen Kooperationen

OZ:

Es gibt ja noch ein ande-

res Dilemma der Digitalisie-

rung. Die großen Zeitungs-

konzerne

programmieren

mit hohem Aufwand eine

App, ein digitales Produkt

und rollen es dann über

mehrere Zeitungstitel aus.

Ein kleiner Verlag wie wir hat

ähnliche

Entwicklungskos-

ten, aber ein viel kleineres

Publikum. Wissen Sie da eine

Lösung?

MEIER:

Ich glaube, dass auch

für kleinere Verlage das Zau-

berwort Kooperation heißt,

dass man sich Partner sucht,

die eine ähnliche Größe ha-

ben, ähnliche Bedürfnisse

und die vielleicht keine Kon-

kurrenten sind, und dann ge-

meinsam Produkte entwi-

ckelt. Allein alles zu entwi-

ckeln ist ganz schwierig.

OZ:

Corona hat auch bei uns

für einen Schub gesorgt. Un-

ser Journalismus ist gefragt,

unsere Informationen, die Le-

benshilfe. Auf der anderen

Seite sind die Anzeigenmärkte

eingebrochen, was unsere Fi-

nanzierung in Frage stellt.

Das ist eine Rechnung, die

nicht aufgeht.

MEIER:

Sie hören mich tief

durchatmen. Das ist eine Er-

fahrung, die auch viele ande-

re Lokalzeitungen gemacht

haben: einerseits die Anzei-

gen-Einbrüche, andererseits

eine hohe Wertschätzung

durch die Leser. Das Vertrau-

en in Journalismus ist gestie-

gen. Lokaler, regionaler Jour-

nalismus hat in den vergan-

genen Monaten viele Dinge

ganz gut gemacht, die hof-

fentlich auch nach Corona

bleiben. Zum Beispiel eine

stärkere Abkehr vom Termin-

journalismus hin zu The-

menjournalismus – mit guten

Recherchen. Die Journalisten

vermittelten das Gefühl, im

Auftrag des Lesers unterwegs

zu sein, der viele Fragen hat-

te. Wenn sie das so mitneh-

men können, dann ist das

auch ein guter Rückenwind

für die Zeit danach ...

OZ:

... Dabei haben gerade Sie

doch in der Corona-Zeit star-

ke Kritik am journalistischen

Angebot geübt ...

MEIER:

Ja, aber meine Kritik

bezog sich vor allem auf die

überregionalen

Zeitungen

und aufs Fernsehen. Wir ha-

ben Panikmache gesehen

und Verkündigungsjournalis-

mus erlebt im Hinblick auf

Regierungsentscheidungen.

Da ist kaum hinterfragt wor-

den. Lokaljournalisten haben

das viel stärker kritisiert. Und

jetzt müssen Gerichte aufar-

beiten, mit welchen willkürli-

chen, nicht durchdachten

Maßnahmen Politik und Be-

hörden zentrale Grundrechte

eingeschränkt haben – und

noch immer einschränken.

Politiker müssen es in der

Demokratie

hinnehmen,

dass ihre Entscheidungen

vielfältig öffentlich diskutiert

und auch kritisiert werden –

auch und vor allem in Kri-

senzeiten. Außerdem waren

lokale Zeitungen sehr kreativ,

wenn es darum ging, den

Menschen praktische Hilfen

im Umgang mit der Pande-

mie zu geben und Themen

konstruktiv aufzugreifen, al-

so mit Lösung, Hoffnung und

Zuversicht.

OZ:

Was zuletzt stark zuge-

nommen hat, sind Mails und

Leserbriefe

von

„Corona-

Leugnern“, und ich gebe zu,

wir haben große Schwierig-

keiten, damit umzugehen.

Wir sind keine ausgebildeten

Virologen, und die Kritik geht

sehr ins Detail. Andererseits

wollen wir Pluralität abbil-

den, haben dann aber das

Problem, dass wir einer klei-

nen Minderheit zu viel Auf-

merksamkeit

geben.

Was

empfehlen Sie?

MEIER:

Ja, darüber wird auch

in der Branche viel diskutiert

– oft mit Ratlosigkeit. Was die

sogenannten Corona-Leug-

ner so frustriert, bezieht sich

häufig darauf, was sie in

überregionalen Medien, vor

allem dem Fernsehen, mitbe-

kommen – diese panikma-

chende

Alternativlosigkeit

und dass Kritiker der politi-

schen Maßnahmen als „Cov-

idioten“ bezeichnet und mit

Rechtsradikalen in einen

Topf geworfen werden. Aber

wie soll man dem im Lokalen

begegnen? Sie haben treffend

gesagt, dass Sie Pluralität wi-

derspiegeln möchten. Das

wäre überhaupt eine Leitli-

nie: Möglichst alle Positionen

zu Wort kommen lassen. Na-

türlich gibt es die Grenze der

Faktenüberprüfung, also Ver-

schwörungsmythen

sollten

nicht ins Blatt: Zum Beispiel,

dass es dieses Virus gar nicht

gibt oder dass Bill Gates da-

hinter steckt, weil er alle

Menschen impfen lassen

möchte. Aber es gibt doch

neben den durch die überre-

gionalen Medien aufgebau-

ten Chefvirologen eine ganze

Reihe von differenzierten

Wissenschaftlern und Ärzten,

die man häufiger zu Wort

kommen lassen könnte.

Junge Leute vertrauen

auf soziale Medien

OZ

: Reden wir auch mal über

junge Leute. Wir haben in

Print ja vor allem ältere Leser

und im Digitalen mittelalte.

Die Jüngeren hingegen ver-

trauen vor allem auf soziale

Medien und lehnen klassische

Medien weitgehend ab. Sie

unterscheiden auch nicht so

sehr zwischen den unter-

schiedlichen

Medienarten.

Was empfehlen Sie da?

MEIER:

Das ist ein schwieri-

ges Thema. Es gibt eine Viel-

zahl von Studien über junge

Menschen. Daraus kann man

allerdings kein Patentrezept

herleiten. Tatsache ist, die

jungen Menschen sind digital

unterwegs, vor allem in Netz-

werken. Wenn man sie errei-

chen will, muss man da mit-

spielen. Mit einer gedruckten

Zeitung oder einem linearen

Fernsehprogramm wird man

sie nicht erreichen können.

Es gibt aber auch inhaltliche

Ansätze: Das, was junge

Menschen immer interes-

siert, sind Zukunftsfragen,

Nachhaltigkeitsthemen, auch

Jobperspektiven, die Umwelt.

Sie suchen eher einen kon-

struktiven Ansatz, also Lö-

sungen und nicht Probleme.

Ich finde es gar nicht so

schlecht, wenn man junge

Menschen ab und zu auch an

der Zeitung mitwirken lassen

würde. Das erweitert sicher-

lich den Blick auf die Welt.

Zeitungen wichtig für

die Demokratie

OZ

: Klingt gut, aber: Haben

wir gerade bei Jüngeren nicht

auch ein Problem mit der Me-

dienkompetenz? Journalisti-

sche Medien sind ja die einzi-

gen, die unabhängig und

nicht interessengeleitet infor-

mieren

und

somit

kein

grundsätzliches

Glaubwür-

digkeitsdefizit haben.

MEIER:

Ja, definitiv. Aber man

muss auch da differenzieren.

Es gibt Lehrer, Schulen, die

bei diesem Thema richtig gut

sind, und es gibt auch junge

Leute, die sehr sattelfest sind,

darüber was glaubwürdige

Quellen sind, die auch gera-

de die lokalen Medien ken-

nen und denen vertrauen,

ebenso wie den großen Mar-

ken wie Tagesschau, Spiegel

oder Süddeutsche Zeitung.

Bei einer aktuellen Befragung

von Lehrern hat es aber tat-

sächlich auch haarsträuben-

de Antworten gegeben, dass

ein Teil von ihnen erhebliche

Lücken beim Wissen über

das Mediensystem und die

Freiheit

der

Presse

in

Deutschland hat. Ich denke,

dass Zeitungen hier noch

mehr zur Aufklärung beitra-

gen können. Journalisten ha-

ben in der Vergangenheit

auch viel getan, in dem sie in

die Schulen gegangen sind

und mit Lehrern und Schü-

lern über ihre Arbeit spre-

chen. Solche Aktionen – wie

beispielsweise das Projekt

„Zeitung in der Schule“ –

müssten eigentlich staatlich

gefördert und mit finanziert

werden. Da geht es ja um die

demokratische Bildung.

OZ:

Sicherlich ist Demokratie-

bildung unsere am meisten

unterschätzte Leistung. Politi-

ker haben ja bisweilen auch

ein zwiespältiges Verhältnis

dazu, weil sie von uns kriti-

siert werden.

MEIER:

Da gebe ich Ihnen

Recht, und ich kann das noch

mal betonen, was Sie eben

angedeutet haben. Die einzi-

ge Stimme in der digitalen

Öffentlichkeit, die unabhän-

gig spricht, ist die Stimme

des Journalismus, gerade im

Lokalen. Alle anderen verfol-

gen in der Öffentlichkeit ei-

gene Interessen und sind

nicht unabhängig. Noch mal,

weil es so wichtig ist: Die Lo-

kalzeitung ist die einzige un-

abhängige Stimme in der Re-

gion. Diese Unabhängigkeit

muss sie natürlich täglich

wieder beweisen. Denn wenn

irgendwo der Geruch von Ab-

hängigkeit aufkommt, dann

ist es um die Glaubwürdig-

keit geschehen. Und glaub-

würdige Informationen gehö-

ren zur Demokratie wie sau-

beres Wasser zum Leben.

Lokaljournalisten sinddie StimmederRegion

INTERVIEW

Journalismus-Professor Klaus Meier über das Jahr 2033, Berichterstattung in Corona-Zeiten und Glaubwürdigkeit

VON JOACHIM BRAUN

Prof. Klaus Meier er forscht und lehrt an der Katholischen Universität Eichstätt Journalismus.

BILD: PRIVAT