

„Für mich beginnt der Tag mit dem Frühstück und der
Lektüre der Ostfriesen-Zeitung. So bekomme ich
topaktuelle und sachliche Informationen aus allen
Bereichen des öffentlichen Lebens.“
Horst Feddermann, Aurich
Freitag, 9. Oktober 2020, Seite 3
obert Dunkmann, 55,
Verleger in fünfter Ge-
neration, ist leiden-
schaftlicher Zeitungs-
mann. Als einer von vier Ge-
sellschaftern der Zeitungs-
gruppe Ostfriesland brachte
der Auricher 2009, als er in
die Geschäftsführung ein-
stieg,
die
Ostfriesischen
Nachrichten in die Firma mit
ein. Vor drei Jahren riefen die
Eigentümer unter seiner Fe-
derführung die „digitale Re-
volution“ aus. Sie bedeutet
einen tiefen Einschnitt für
die Ostfriesen-Zeitung, das
Flaggschiff der Gruppe, und
ist eine Reaktion auf den
schnellen
Medienwandel,
dem die Zeitungsbranche
unterliegt. Anlässlich des
70. Geburtstags der OZ stellte
sich Dunkmann zum Inter-
view mit Chefredakteur Joa-
chim Braun (54), der vor
knapp zwei Jahren nach
Leer-Logabirum kam.
OZ:
Herr Dunkmann, neh-
men wir mal an, Sie treffen
beim Einkaufen in Leer einen
Neubürger, der Sie fragt, wel-
che Zeitung man in Ostfries-
land lesen sollte. Mit welchen
Argumenten überzeugen Sie
ihn für die OZ?
DUNKMANN:
Wenn er sich für
Ostfriesland interessiert, und
das setzt die Frage ja voraus,
wird er in der OZ über alles
informiert, was für ihn wich-
tig ist, also über Themen wie
Wohnen, Arbeitsplätze oder
Infrastruktur, über das Ver-
einsleben, über Veranstaltun-
gen, über politische Ent-
scheidungen ...
OZ:
... Und dafür soll er im
Moment 40 Euro ausgeben?
DUNKMANN:
Wenn er es ge-
druckt haben möchte, ja. An-
sonsten bieten wir ja auch
das E-Paper an oder das In-
ternet-Abo. Die sind wesent-
lich günstiger.
OZ:
Bieten Sie ihm dann eher
das E-Paper an oder die ge-
druckte Zeitung oder das In-
ternet-Abo?
DUNKMANN:
Das hängt na-
türlich von den persönlichen
Vorlieben ab. In meinem Al-
ter schwankt man ja zwi-
schen E-Paper und Print. Ich
würde das E-Paper bevorzu-
gen, weil ich es schon am
Vorabend ab 19.30 Uhr lesen
kann und damit schon eher
informiert bin.
Reichweite so groß
wie noch nie
OZ:
Schmerzt Sie, dass die ge-
druckte Zeitung an Auflage
verliert?
DUNKMANN:
Das müssen wir
akzeptieren. Das ist so und
angesichts dessen, wie rasant
sich unsere Gesellschaft in
den vergangenen Jahren ver-
ändert hat, unvermeidlich.
Das heißt aber nicht, dass die
Menschen weniger an Infor-
mationen interessiert sind.
Das zeigen ja auch die sozia-
len Medien, die ein Informa-
tionsbooster sind. Wir müs-
sen natürlich fragen, ob das
gut ist oder schlecht. Fakt
aber ist, die Menschen ver-
bringen viel mehr Zeit mit
Medien als früher. Zwar sind
die Abonnenten der gedruck-
ten Zeitung weniger gewor-
den, aber die Zeit, die sie mit
ihrer Zeitung verbringen,
schrumpft trotz der großen
Konkurrenz im Medienmarkt
nicht. Insgesamt ist die Medi-
R
ennutzung gewachsen.
OZ:
Summiert man die Reich-
weite der digitalen Kanäle
und der gedruckten Zeitung,
dann hat die OZ noch nie so
viele Menschen erreicht wie
heute ...
DUNKMANN:
Genau, und das
stimmt uns auch positiv für
die Zukunft. Wir drucken
rund 35 000 Zeitungen am
Tag. Multiplizieren Sie das
mit 2,7, dann erreichen wir
rund 100 000 Leser jeden Tag.
Der Onlinebereich ist um das
Vierfache größer ...
OZ:
... und trotzdem stecken
Sie in einem Dilemma. Die
Erlöse schrumpfen, weil Wer-
bung ins Netz abwandert und
das Abo-Geschäft im Internet
viel schwieriger ist.
Journalismus muss
sich beweisen
DUNKMANN:
Das ist richtig.
Das haben wir den Plattfor-
men zu verdanken, Google
zum Beispiel. Die sorgen als
Gatekeeper, als Türöffner da-
für oder eben nicht, wie
sichtbar unsere Internetsei-
ten sind und sind darüber hi-
naus ein technologisch über-
legener Wettbewerber im
Werbemarkt. Ich erinnere
mich an eine Zeitung, die ich
früher mal mit Begeisterung
gelesen habe, die Deutsche
Autozeitung DAZ. Die steckte
voller Anzeigen für Ge-
brauchtwagen. Dank ent-
sprechender Internet-Platt-
formen ist die DAZ längst
vom Markt verschwunden.
OZ:
Mit diesem Zustand müs-
sen wir leben. Aber ist das das
einzige Problem? Müssen wir
uns nicht vielleicht die Frage
stellen, ob wir in den vielen
Jahrzehnten, in denen das Ge-
schäftsmodell
Lokalzeitung
perfekt funktionierte, inhalt-
lich unattraktiv geworden
sind? Die Zeiten, in den man
eine Zeitung haben musste,
weil nur was in der Zeitung
stand, auch stattgefunden
hatte.
DUNKMANN:
Das ist der
Dreh- und Angelpunkt. Bis
vor 15 Jahren war nur die Zei-
tung als Informationsmedi-
um relevant. Das hatte uns
bequem
gemacht.
Heute
muss sich unser journalisti-
sches Angebot auf dem
Markt beweisen und durch-
setzen. Das geht nur, wenn es
sachlich, ordentlich und kor-
rekt ist. Das ist gar nicht so
einfach. Daran arbeiten wir
aber permanent, an der best-
möglichen OZ für unsere
Kunden.
OZ:
Vor drei Jahren haben die
Gesellschafter die digitale Re-
volution
ausgerufen.
Wie
macht sich das im Haus be-
merkbar?
DUNKMANN:
Na ja, zum Bei-
spiel dadurch, dass wir einen
neuen Chefredakteur haben,
der weiß, wie es geht (lacht),
dass wir neue Technik ge-
kauft haben, die den Repor-
tern erlaubt, auch außerhalb
der Redaktion ihre Artikel zu
schreiben und sie online zu
stellen. Dass wir inzwischen
alle Artikel zuerst online stel-
len und sie sozusagen dem
Test der Leser unterziehen,
hilft uns auch bei der Aus-
wahl der Themen für die ge-
druckte Zeitung.
OSTFRIESEN-ZEITUNG:
Das
heißt, Sie gehen davon aus,
dass Online-Leser dieselben
Interessen haben wie Print-
Leser.
DUNKMANN:
Ja. Das was on-
line funktioniert, funktioniert
auch im Print. Umgekehrt
gilt das nicht unbedingt ...
OZ:
... weil Sie nicht wissen,
was in Print funktioniert.
Dort entscheiden ja nicht Zu-
griffszahlen,
sondern
das
Bauchgefühl der Redakteure.
DUNKMANN:
Zumindest war
das so. Deshalb haben wir ja
vor einem Jahr eine Leserun-
tersuchung gemacht. Seit
„Lesewert“ kennen wir nun
auch die Erwartungen der
Zeitungsleser, und das hat
sehr viel an unserer Arbeit
geändert.
Glaubwürdigkeit hilft
gegen Fake-News
OZ:
Die Digitalisierung ist
aber nicht nur ein Thema der
Redaktion. Sie betrifft das
ganze Haus. Was muss da
passieren?
DUNKMANN:
Im Mittelpunkt
unserer Arbeit steht nun mal
die Nachricht. Darum hat die
Veränderung auch in der Re-
daktion
angefangen.
Als
nächstes geht es um die Ver-
teilung. Das ist ein sehr kom-
plexes Thema. Im Gedruck-
ten geht es um die Logistik-
kette von der Druckerei bis
zum Abonnenten. Bei den di-
gitalen Kanälen geht es ne-
ben der Abonnenten-Gewin-
nung auch noch um Themen,
die wir nicht in der Hand ha-
ben, zum Beispiel die Breit-
bandversorgung und den
Handyempfang. Und parallel
dazu digitalisieren wir auch
unsere Angebote für den
Werbemarkt. Da ist die Er-
wartungshaltung der Kunden
durchaus hoch. Heutzutage
verkaufen wir keine Anzeigen
mehr, sondern Lösungen, die
unseren Kunden helfen.
OZ:
Das sind die gesetzten
Ziele. Werden die auch so um-
gesetzt, wie Sie sich das wün-
schen? Immerhin sind die
Mitarbeiter seit Jahren an die
Abläufe gewohnt, die für die
gedruckte Zeitung nötig sind.
DUNKMANN:
Sie schaffen das
nur mit 1. neuen technischen
Werkzeugen, 2. damit, dass
wir die Mitarbeiter auf dieser
spannenden Reise mitneh-
men, in dem wir transparent
sind und schulen, schulen,
schulen. Viele Mitarbeiter
sind sehr onlineaffin, aber
immer auf der Kundenseite.
Dass sie jetzt auf die Anbie-
terseite müssen, verunsichert
doch viele. Die Prozesse sind
tatsächlich schwierig.
OZ:
Wie lange haben Sie denn
Zeit für die Transformation?
DUNKMANN
: Bis wir fertig
sind (lacht). Vor 15 Jahren ha-
ben wir angefangen, und wir
sind noch lange nicht fertig.
Unser altes Geschäftsmodell
hat 150 Jahre funktioniert.
Anders formuliert: Wir haben
150 Jahre dasselbe Auto ge-
baut. Und jetzt kommt je-
mand und sagt: Nun bauen
wir ein anderes Auto. Da lau-
tet die erste Frage: Warum?
Meine Frage an die Mitarbei-
ter lautet dann gerne, ob sie
die OZ auch abonniert hät-
ten, wenn sie nicht hier ar-
beiteten. Gerade Jüngere sa-
gen, wenn sie ehrlich sind,
nein. Und dann diskutieren
wir darüber, wie die Ostfrie-
sen-Zeitung stattdessen aus-
sehen müsste. Im Übrigen
bedeutet
Digitalisierung,
ständig im Beta-Status zu
sein und niemals fertig zu
werden.
OZ:
Das, was uns von anderen
Medien, gerade den sozialen
Medien, unterscheidet, ist
Glaubwürdigkeit. Wie wichtig
ist die für Sie?
DUNKMANN:
Ganz wichtig.
Wir alle werden permanent
mit Fake-News bombardiert.
Da ist es wichtig, dass sich
die Leser darauf verlassen
können, dass das, was wir
schreiben, stimmt.
OZ:
Trotzdem befindet sich
der Journalismus laut Umfra-
gen in einer Vertrauenskrise.
Es gibt tatsächlich Menschen,
die glauben, dass die Regie-
rung oder andere finstere
Mächte steuern, worüber und
was wir berichten. Haben Sie
da eine Lösung?
Corona: Mehr Leser,
weniger Werbeerlöse
DUNKMANN:
Tatsächlich ist
das schwierig. Viele Fake-
News werden ja vielfach nur
deshalb als richtig empfun-
den, weil sie genau in das
Meinungsbild passen, weil
man sich bestätigt fühlt.
Nehmen Sie Facebook. Dort
tummeln sich viele Men-
schen in Filterblasen. Bei uns
hingegen gibt es diese Blasen
nicht. Wir bringen auch kei-
ne Berichte, die bewusst
falsch sind oder ehrabschnei-
dend.
OZ:
Kommen wir auf die öko-
nomische Situation zurück:
Wir sprachen über sinkende
Erlöse und steigende Aufwän-
de für neue Technologien, für
Schulungen und für Spezia-
listen. Wie soll denn ein klei-
ner Verlag wie unserer dies
stemmen?
DUNKMANN:
Auf jeden Fall,
in dem wir unsere Leser in
den Mittelpunkt unserer Ar-
beit stellen. Was unsere Kun-
den erwarten, weshalb sie
unsere Produkte kaufen, das
ist für unsere Arbeit das Ent-
scheidende. Wir haben keine
Reichtümer auf der Bank, das
heißt, wir müssen unsere In-
vestitionen aus dem laufen-
den Geschäft heraus erwirt-
schaften. Bisher gelingt uns
das noch ziemlich gut. Mir ist
da nicht bang.
OZ:
Ausgerechnet in dieser
schwierigen Umbruchsituati-
on kam jetzt auch noch Coro-
na. Wie sehr hat die Pande-
mie die OZ getroffen?
DUNKMANN:
Sehr. Gerade
unser regionaler Werbemarkt
ist stark eingebrochen. Ge-
schäfte, die geschlossen sind,
brauchen keine Anzeigen zu
buchen und verteilen auch
keine Prospekte. Das hat sich
inzwischen etwas gebessert,
auch dadurch, dass wir keine
Kurzarbeit gemacht haben,
und unsere Kundenberater
ständig im Gespräch mit den
Unternehmen haben. Auf der
anderen Seite waren wir in
der Krise sehr erfolgreich auf
dem Lesermarkt. Die Leute
wünschen sich, das hat die
Pandemie ganz deutlich ge-
macht, seriöse Informatio-
nen. Das heißt, der Rückgang
bei den gedruckten Zeitun-
gen ist geringer als in den
Jahren zuvor. Das E-Paper,
aber auch unser Digital-Abo
haben ganz stark zugelegt.
Solidarpakt anstelle
von Kurzarbeit
OZ:
Sie haben Kurzarbeit er-
wähnt. Der einzige Zeitungs-
verlag, von dem ich noch
weiß, dass es keine Kurzarbeit
gab, ist die Frankfurter Allge-
meine. Warum haben Sie auf
Geld vom Staat verzichtet?
DUNKMANN:
Aus ganz grund-
sätzlichen Erwägungen. Seit
Jahrzehnten betonen wir Zei-
tungsleute, dass wir unab-
hängig sind, dass wir keiner
Beeinflussung von Seiten des
Staates
unterliegen,
und
dann, wenn wir Not haben,
rufen wir ausgerechnet nach
dem Staat und nehmen Geld.
Das nagt an unserer Glaub-
würdigkeit, deswegen war ich
strikt dagegen. Natürlich war
unsere wirtschaftliche Situa-
tion auch schwierig. Am An-
fang hatte ich mit minus fünf
Millionen bei den Werbeerlö-
sen gerechnet, das wäre ein
Einbruch um 50 Prozent ge-
wesen. Da haben aber auch
meine Mitgesellschafter gro-
ßes Engagement für das Haus
gezeigt. Und wir haben einen
Solidarpakt ins Leben geru-
fen. Befristet auf drei Monate
sollte, wer konnte, seine Ar-
beitszeit reduzieren und da-
mit auf Gehalt verzichten.
Das hat gut funktioniert.
Rund 90 Prozent der Mitar-
beiter haben mitgemacht.
Wie ich es immer sage: Wir
sind eine große Familie, da
hält man zusammen. In gu-
ten wie in schlechten Zeiten.
OZ:
Apropos Familie. Sie sind
55 Jahre alt, Sie haben also
noch ein bisschen. Aber da-
nach? Bleibt die Zeitungs-
gruppe Ostfriesland ein fami-
liengeführtes Unternehmen?
Ihre älteren Mitgesellschafter
haben ja den Generations-
wechsel schon vollzogen.
DUNKMANN:
Das weiß man
natürlich nie. Aber ich habe
zwei Söhne, einer 24 und ei-
ner 15 Jahre alt. Der Ältere
hat gerade seine Ausbildung
zum Medienkaufmann abge-
schlossen. Das Interesse ist
also vorhanden. Ich bin da-
rum optimistisch, was die
sechste Generation Dunk-
mann betrifft.
DieLesermüssen für uns imMittelpunkt stehen
INTERVIEW
OZ-Geschäftsführer Robert Dunkmann über den digitalen Wandel, Corona und die nächste Generation
VON JOACHIM BRAUN
Robert Dunkmann (hier im Inter view mit Joachim Braun) ist Gesellschafter der Zeitungs-
gruppe Ostfriesland und seit 2009 auch Geschäftsführer.
BILD: ORTGIES