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er bei der Sächsi-

schen Zeitung in

Dresden arbeitet,

braucht

starke

Nerven. Seit bald sechs Jah-

ren marschieren fast jeden

Montagabend an dem Ver-

lagshaus Hunderte, manch-

mal auch Tausende Pegida-

Anhänger vorbei und brüllen

ihre Wut gegen die angebli-

che „Lügenpresse“ heraus.

Der Begriff „Lügenpresse“,

1915 zum „Unwort des Jah-

res“ gewählt, ist schon viel äl-

ter. Vor 150 Jahren nutzten

reaktionäre Kräfte ihn, um

die liberale Presse zu schmä-

hen, auch in den polarisier-

ten Zeiten im Ersten Welt-

krieg und im Nationalsozia-

lismus wurde er genutzt, um

nicht systemkonforme Medi-

en zu beschimpfen. Pegida

befindet sich also in guter

Tradition. Und es ist sicher

kein Zufall, dass in einer Zeit,

in der die (deutsche) Demo-

kratie mal wieder in Gefahr

ist, gegen Medien gehetzt

wird. Auch bei den Demos

gegen die Corona-Maßnah-

men tauchen die „Lügen-

presse“-Plakate wieder auf.

Die meisten unabhängi-

gen Medien in Deutschland –

also Zeitungen ebenso wie

private und öffentlich-recht-

liche Sender – nehmen für

sich in Anspruch, die Demo-

kratie zu verteidigen. Dazu

gehört auch, dass sie bei-

spielsweise Bürger gegen

W

willkürlich handelnde Behör-

den schützen. Gerade privat-

wirtschaftliche Medien, wie

die Tageszeitungen, sind laut

Grundgesetz staatsfern und

unabhängig. Dass der ein

oder andere Journalist mit

den Mächtigen kungelt und

seine Rolle verrät, ist sicher

richtig. Aber wo gibt es keine

schwarzen Schafe?

Wie umgehen mit „Coro-

na-Leugnern“ ist eine der ak-

tuell schwierigsten Fragen,

gerade im Lokaljournalis-

mus. Ihnen einfach so eine

Bühne geben, ist ausge-

schlossen. Bei allem Ver-

ständnis für die durch Lock-

down und die folgenden

Maßnahmen

verursachten

wirtschaftlichen

Probleme,

die sie antreiben mögen, sind

deren Anschauungen in der

Regel nicht durch Fakten ge-

deckt, auch nicht durch die

wahrnehmbare Realität der

Corona-Folgen in Ländern

wie Italien, Spanien und den

USA. Also versuchen wir die

Thesen einzuordnen, was

kompliziert ist und oft nicht

gelingt. Denn Lokaljournalis-

ten sind keine Virologen.

Was Corona-Leugner und

radikale Demokratiegegner

wie Reichsbürger, Neonazis

und AfD-Aktivisten, aber na-

türlich auch Linksextremis-

ten, gemein haben, ist, dass

sie sich weitgehend von un-

abhängigen Medien, der von

ihnen geschmähten „Lügen-

presse“ abgewendet haben.

Sie nutzen vorzugsweise so-

ziale Netze wie Facebook,

Youtube und Twitter und

Messengerdienste wie Tele-

gram und Whatsapp.

Dort finden sie, was sie su-

chen: Bestätigung für ihre

Thesen und für ihre Sicht der

Welt. Experten sprechen von

„Filterblasen“. Alles, was der

eigenen Weltsicht wider-

spricht, wird abgelehnt. Me-

dien, die sich der Meinungs-

vielfalt verpflichtet haben,

haben ausgedient. US-Präsi-

dent Donald Trump spielt

diese Klaviatur nahezu per-

fekt: Kritische Berichterstat-

tung über sich kontert er mit

Lügen, Drohungen und Be-

leidigungen auf seiner Lieb-

lings-Plattform Twitter.

Die OZ-Redaktion erlebt

diese Spaltung ganz unmit-

telbar. Drei Themenbereiche

spielen wir auf Facebook nur

noch aus, wenn die Onlinere-

daktion Dienst hat: Flüchtlin-

ge, Corona und – ja wirklich –

auch Tierschutz- oder Jagd-

Themen. Als ob sie darauf

warteten, fluten bei diesen

Themen Trolle mit ihren

Kommentaren unsere Seite,

beleidigen und pöbeln he-

rum.

Moderationsversuche

scheitern oft, dann bleibt

nur, Kommentare zu löschen

und die Urheber zu sperren.

Aber auch in Leserbriefen

und E-Mails an Redakteure

hat der Hass massiv zuge-

nommen. Was vor zehn Jah-

ren nur anonym erfolgte,

passiert inzwischen oft mit

voller Namensnennung und

reicht bis zu Gewaltandro-

hungen. Gut, mit Wider-

spruch müssen Journalisten

leben, sie gehen ja auch oft

nicht zimperlich mit anderen

um, mit Drohungen sicher-

lich nicht. Und manche

scheitern dran. Sie suchen

sich einen Beruf, in dem sie

nicht ständig Hass aushalten

müssen. Schlimmer als das

ist aber, was der Hass über

den Zustand unserer Gesell-

schaft aussagt. Streit ist die

Grundlage der Demokratie,

aber Streit, der getragen ist

von Respekt vor dem ande-

ren und dessen Meinung. An-

dererseits gilt aber auch, dass

die weit überwiegende Mehr-

heit der Menschen mit Hass

nichts zu tun hat. Man hört

sie nicht, aber sie sind da.

WarumderBegriff „Lügenpresse“ falsch ist

ANALYSE

Je stärker polarisiert die Gesellschaft ist, umso schwieriger haben es unabhängige Medien, gehört zu werden

VON JOACHIM BRAUN

Gegen Corona-Maßnahmen und gegen die „Lügenpresse“: Demonstranten vor ein paar Wochen in Frankfurt.

BILD: DPA

„Mir gefallen an der OZ die vielen Personality-Geschich-

ten. Besonders schön ist, dass ich als Sportinteressierter

Spielberichte schon kurz nach Abpfiff online und nicht

erst am nächsten Tag in der Zeitung lesen kann.“

Michael Zuidema, Moormerland

Freitag, 9. Oktober 2020, Seite 33

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Nicht nur die

ezeiten im Blick!

Seit 70 Jahren überzeugt die OZ

mit täglichem Qualitätsjournalimus,

den Reportagen und Nachrichten aus nah und fern.

Zu diesem Anlass gratulieren wir herzlich

und wünschen alles Gute für die Zukunft.

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